Die lauten Explosionen rissen Marina und ihren Mann kurz vor Sonnenaufgang in Dnipro, einer zentralukrainischen Stadt, die sich vom Ufer…
Die lauten Explosionen rissen Marina und ihren Mann kurz vor Sonnenaufgang in Dnipro, einer zentralukrainischen Stadt, die sich vom Ufer des Dnjepr aus ausbreitet, aus dem Schlaf. Verwirrt begaben sie sich aus ihrem neunstöckigen Wohnhaus und konnten nicht glauben, was sie sahen: hohe Rauchfahnen, die in der Ferne aufstiegen. Bomben hatten den nur fünf Kilometer entfernten Flughafen getroffen.
„Wir haben nicht verstanden, was es war, was passierte“, sagt sie. „Es gab noch keine Sirenen, nichts. Es war der erste Tag. Und als uns gesagt wurde, dass in der ganzen Ukraine Flugplätze oder Infrastruktureinrichtungen bombardiert worden waren, konnten wir nicht glauben, dass dies Krieg war.“

Jedes Mal, wenn die Familie in den folgenden Tagen Sirenen hörte, drängten sich Marina, ihr Mann und ihre Töchter, Kristina, 10 und Alisa, 5, in den Flur ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung. „Es gibt keinen Luftschutzbunker in der Nähe, wo wir uns verstecken könnten. Unser Wohnblock ist ein Plattenbau, was bedeutet, dass, wenn uns etwas treffen oder sogar in der Nähe landen würde, das Gebäude einfach in sich zusammenbrechen würde.“ Marina und ihr Mann beschlossen mit den Kindern abzureisen, auch wenn ihr endgültiges Ziel unklar war.
Marina erfuhr, dass die Bank, in der sie als Business Analyst arbeitet, Busse für Mitarbeitende und ihre Familien bereitstellen würde, die gehen wollten. Ihr Mann sollte bleiben und seine Arbeit als Ingenieur fortsetzen, um die ukrainische Wirtschaft zu unterstützen.
„Wir waren auf der Suche nach einem sicheren Ort, denn wie alle Mütter, die ihre Kinder aus der Situation herausbringen möchten, machen sie sich einfach Sorgen und wollen, dass ihre Kinder am Leben bleiben.“
Ein tränenreicher Abschied: „Wir wussten nicht, ob wir uns wiedersehen würden“
Am Vorabend ihrer Abreise packte Marina ihren Laptop, einige Kleidungsstücke und viel Wasser und Essen ein, weil sie gehört hatten, dass die Regale in den Geschäften entlang der Routen aus der Ukraine leer waren. Marina sagte Kristina und Alisa, dass sie jeweils einen Rucksack mit allem füllen könnten, was sie wollten. Kristina entschied sich für Kunstbedarf und ein paar Logikspiele. Alisa füllte ihren Hello Kitty Rucksack mit Stofftieren, darunter das My Little Pony Snowflake, die weiße Kätzchenkatze, und ein Terrier mit blauem Kragen namens Rocky, dessen Haar bereits durch jahrelanges Kuscheln verfilzt ist.
Marina weint bei der Erinnerung daran, wie ihr Mann und alle anderen Väter sich von ihren Frauen und Kindern an den Bussen verabschiedeten. „An diesem Tag sah ich meinen Mann zum ersten Mal weinen“, sagt sie. „Weil wir nicht wussten, ob wir uns jemals wiedersehen würden. Wir haben alle geweint. Die Kinder weinten. Die Frauen weinten. Es war schrecklich. Die Kinder sagten immer wieder: ‚Mummy, lass uns nach Hause gehen. Kehren wir zu Papa zurück.’“
Marina und die Mädchen machten sich auf den Weg in die Stadt Lemberg, dann in eine kleinere Stadt weiter westlich. Auf dem Weg dorthin stand sie in Kontakt mit Verwandten und versuchte verzweifelt herauszufinden, wohin sie gehen sollten. Dann riefen Freunde der Familie an und sagten, dass es eine Wohnungs-Auskunftstelle an der Warschauer Ost-Transitstation gibt; betrieben von Habitat for Humanity Polen.
Ein neues Zuhause: „Wir können jetzt in Ruhe schlafen“
Es ist ein Wunder, wie meine Freunde diese Organisation, Habitat, gefunden haben“, sagt sie und sitzt auf einem beigen Schlafsofa in einer Warschauer Ein-Zimmer-Wohnung, in der Habitat for Humanity Marina und ihre beiden Töchter untergebracht hat. „Als wir die Wohnung zum ersten Mal betraten, schien es uns, dass hier ein Ort war, an dem wir jetzt in Ruhe schlafen können, ohne mitten in der Nacht von Sirenen geweckt zu werden, ohne drei Stunden hintereinander im Flur sitzen zu müssen . . . Meine Kinder haben zum ersten Mal gut geschlafen. Wir hatten das Gefühl, endlich ein Zuhause gefunden zu haben.“ „Ich bin sehr dankbar, dass wir ein Dach über dem Kopf haben, dass meine Kinder in Sicherheit leben“, sagt Marina. Im Hintergrund hört man Vogelgezwitscher auf dem Balkon und das gelegentliche Kichern von Kristina und Alisa, die im Schlafzimmer spielen.
Kristina und Alisa haben begonnen, die Wohnung zu dekorieren, indem sie magnetische Schmetterlinge auf den Edelstahlkühlschrank und das My Little Pony-Spielzeug auf den Kaminsims gelegt haben. Sie schlafen auf Bodenmatratzen mit dicken Bettdecken. Alisa hat eine Reihe von Stofftieren hinter ihrem Kopfkissen aufgebaut, darunter Winnie Puuh, Ferkel und andere, die von polnischen Familien gespendet wurden. Rocky und Snowflake sind auch da, wenn sie nachts schlafen geht.
Sehnsucht nach Heimat: „Wir wussten gar nicht, dass das Leben einfach großartig ist“
Marina ist oft in Kontakt mit ihrem Mann. „Er geht allein einkaufen, wenn es keinen Luftangriffsalarm gibt“, sagt sie. „Sie sagen uns, dass die Wirtschaft der Ukraine funktionieren sollte … Er arbeitet jetzt für das Wohl der Ukraine.“
Doch sie fürchtet um seine Sicherheit. Ein paar Tage zuvor wurde ein anderes Wohnhaus nur 100 Meter von ihrem Wohnhaus entfernt von einer Bombe getroffen und fing Feuer. Glücklicherweise, sagt Marina, ist niemand umgekommen.
Marina sagt, sie erwarte nach Hause zurückzukehren, aber wie so viele, die durch den Konflikt vertrieben wurden, habe sie keine Ahnung, wann. Habitat for Humanity Polen sieht regelmäßig nach der Familie, ebenso wie die Wohnungsbesitzerin. Alisa geht in den Kindergarten, den auch andere ukrainische Kinder besuchen.
Heimweh trotzallem
„Mein Mann und ich haben gearbeitet, unsere Kinder sind zur Schule gegangen, in den Kindergarten“, sagt sie. „Wir waren immer unterwegs, hatten nie die Zeit für alles, was wir tun wollten . . . Es war das Leben. Wir wussten nicht, dass das einfach großartig war. Und dass die Dinge plötzlich anders laufen können.“